Sonnenblumen

Vor 37 Jahren habe ich meinen Doktor in Soziologie und Psychologie gemacht. Wir, das Kollektiv Rampenplan- ein Kollektiv von 5 Leuten, die alle fertig mit ihrem Studium im sozialen Bereich waren – haben damals beschlossen, dass wir nur noch das machen, was uns selbst Spaß macht und nicht für einen Boss arbeiten. Nach 37 Jahren kann ich mit Stolz sagen: ich bin der Einzige, der es tatsächlich geschafft hat.

1991 wurde ich eingeladen Trainings in Jugoslawien zu gewaltfreier Konfliktlösung beim Polizei- und Krankenhauspersonal zu geben. In der Zeit ist ein Krieg ausgebrochen. Seit ich in Jugoslawien angekommen war, hatte ich jeden Tag zwei Seiten Tagebuch für meine Kinder auf dem Laptop geschrieben und das auf dem damaligen Intranet-Netzwerk gepostet. In 1993 ist erst das Internet entstanden und für das vorläufige Netz wurde noch Füllmaterial gesucht, um es aufzubauen – dieses Prinzip dass man von einer Seite auf die andere springen kann, die Verlinkung, wurde gerade entwickelt. So ist mein Tagebuch das erste Blog des Internets geworden. Al Gore, damals Vizepräsident von den USA, hat das Ding als Beispiel genommen, was man mit dem Internet machen kann, wenn man es tatsächlich pragmatisch benutzt.

Wenn man Friedensaktivist ist, kann man schwer in einem Kriegsgebiet auf die Straße gehen und sagen dass man dagegen ist. Meine Ideen sind meistens nur eine Reaktion auf das, was die Gesellschaft mir anbietet, oder welche Frage daraus entsteht. In dem Fall war es: Was macht man mit Flüchtlingen? Oder was macht man als Friedensaktivist in einem Land, dass im Krieg ist? Was auch durch mein Tagebuch entstanden ist, ist dass ich Menschen eingeladen habe nach Kroatien, Bosnien, Serbien zu kommen, um mit Kindern in Flüchtlingscamps zu spielen, die Erlaubnis dafür von UNHCR. Da war die Idee, dass wenn da ganz viele Menschen ins Flüchtlingslager kommen, es auf das Lager einen positiven Effekt haben wird. Dass man mit Kindern spielte und dass man Schule organisierte, das war bis 1992 völlig absurd. Ich habe gedacht, wir müssen eine Gruppe aus vielen verschiedenen Ländern machen, weil im Kopf der Menschen die Idee ist, dass verschiedene Nationalitäten nicht zusammen arbeiten können. In jedem Land stehen Organisationen, die gefragt haben, ob sie mit lauter Leuten aus dem jeweiligen Land ein Camp organisieren können. Wir haben mit viel Mühe deutlich gemacht, dass es nicht um deutsche Ehre und auch nicht um Presse zuhause, sondern um die Leute vor Ort geht.

Suncokret ist entstanden, weil am Anfang vom Krieg ganz Zagreb mit Sandsäcken voll gelegt war, überall wo wir hin kamen, zwei Meter hoch. Nach einem halben Jahr ist nichts passiert, die Frontline war 30 km weiter, unsere Stadt war nicht in Gefahr. Aber die verdammten Sandsäcke gaben mir immer noch dauerhaft das Gefühl, als würde ich mitten im Krieg leben. Was kann man gegen Sandsäcke tun? Langsam und sicher wegnehmen, aber dann kriegst du Ärger. Dann habe ich gesehen, dass der Sand da drin, nicht totes, sondern lebendes Material aus dem Hintergarten war. Mit Samen drin, die anfingen zu blühen. Da habe ich sie nur noch aufgemacht, Sonnenblumensamen rein und geguckt was passiert. Andere haben das übernommen. Wir haben aus jedem Sandsack einen Friedensgarten gemacht. Und so blühten in ganz Zagreb Sonnenblumen und sie wurde das Symbol der Friedensbewegung. Suncokret bedeutet auf Kroatisch, Bosnisch und Serbisch wörtlich „sich nach der Sonne drehen“. In Bosnien ist es ein Schimpwort, bezeichnet Leute, die nichts tun. In anderer Bedeutung ist es auch eine Idee von Hoffnung.

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Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.