Kommunizierend herausfinden

Etwa um 2000 herum habe ich mit meinem Partner Lars Fischer die Einsicht gehabt, dass wesentliche Dinge, die man wissen muss, um Landschaften zu entwickeln, in den Landschaften selber zu finden sind. Der Raumpionierdiskurs enthält die These, dass es Zuwanderung von neuen, frischen Köpfen braucht, damit in einer Region etwas Neues entwickelt werden kann. Das würde ich vorsichtiger beurteilen. Unsere Erfahrung war, dass Menschen, die schon lange in einer Landschaft leben, eine Allianz mit der Wirklichkeit, in die sie nun mal verwoben sind, eingehen.Wenn man also Menschen miteinander konfrontiert und nur von dem ausgeht, was an Energie, Einsicht, Beziehungsqualität längst im Raum ist, dann hat man genug, um den Raum zu entwickeln. Ich sagte zu Lars: Das ist eine Kommunikationsaufgabe, lass es uns Landschaftskommunikation nennen. Jede Landschaft, die sich entwickeln will, braucht eine kontinuierliche Selbstbeschreibung. Die einzige Korrektur an der Sache, war nach ungefähr 10 Jahren die Frage: Was ist eigentlich das Produkt?

Wir reden mit Landwirten, Bewohnern, Naturschützern, Bürgermeistern, Künstlerinnen, Ärztinnen, lassen uns von ihnen erklären, was sie in einem Raum tun. Die Bereitschaft der Leute, darüber zu reden, ist extrem hoch. Der zweite Schritt ist, diese fotografisch und textlich begleiteten Erfahrungen nochmal an die Leute zurückzuspielen. Zu sagen: Das haben wir von euch verstanden und wir wollen es nicht als wissenschaftliches Geheimmaterial behandeln, sondern guckt es an und sagt uns, ob ihr meint, dass das, was ihr uns sagen wolltet, hier angemessen ausgedrückt ist. Die Meisten freuen sich, dass jemand sich die Mühe gemacht hat, ihre Sichtweise zu erheben, sie ernst zu nehmen. Der dritte Schritt ist dann, die Heterogenität verschiedener Sichtweisen abzubilden, wir setzen also immer Kontraste voraus. Diese Kontraste machen genau den Humus, aus dem man nachher Landschaftskommunikation fruchtbar machen kann. Die Leute haben verschiedene Sichtweisen auf den Raum, also nicht von vorneherein eine bestimmte Mentalität annehmen -stur, freundlich, was immer dem Menschenschlägen aus bestimmten Landstrichen nachgesagt wird- sondern annehmen, dass alle ihren eigenen Kopf haben. Das hat sich sehr bewährt, dadurch kommt sehr viel Energie ins Material. Im vierten Schritt integrieren wir das Material in ein Produkt: Ausstellung, Theaterstück, Buchpublikation, eine Diskussionsveranstaltung, bei uns sehr häufig Websites.

Natürlich gehen wir mit Vorannahmen und bestimmten Fragestellungen rein, das kann gar nicht anders sein. Aber Belastbarkeit und Potenzial von Aussagen lassen sich in der Regel gut daran ermessen, inwiefern sich jemand auf eine beschreibende Sichtweise einlässt. Wir brauchen keine Leute, die die ganze Zeit nur agitieren, uns erklären warum die Anderen böse sind. Wir brauchen qualifizierend differenzierende Beschreibungen. Wenn jemand eine Liebesbeziehung zu einer Landschaft hat, kommt die bei uns an. Das ist eigentlich ein Grundmoment des Lernens: nicht nur Wissen von einem Kopf in den anderen schütten, sondern teilhaben an einer bestimmten Beziehungsqualität. Ein Handwerker kann nur deshalb sein Handwerk gut vermitteln, weil er diese spezielle Arbeit sehr liebt. Hat jemand eine Liebesbeziehung zu dem Raum, den er entwickelt, prägt, bewirtschaftet, bewohnt, sind wir auch entflammbar. Aber wenn man so will, ist in bestimmten Wissenschaftsbegrifflichkeiten, das Unwissenschaftliche an Landschaftskommunikation, dass wir uns das Recht heraus nehmen, die Leute zu identifizieren, die starke Aussagen machen können. Ein Soziologe würde nach den anderen 10.000 fragen, aber wir würden sagen, dass das Entscheidende ist, ob jemand zum Diskurs über den Raum etwas Entscheidendes beitragen kann. Ob das ein Kräuterweiblein ist, die im Wald Pflanzen findet und Brennholz holt, oder ein Großagrarier, der 6000 Hektar bewirtschaftet, kann man vorher nicht wissen, nur kommunizierend herausfinden. Es gibt keine Vorwegentscheidung nach statistischem Schlüssel oder irgendwelchen Machtfaktoren. Man kann nur sehen, wer etwas Interessantes zu sagen hat.

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Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.