Besonders, ohne Alltag

Ich finde Ideen, statt sie zu generieren. Wahrscheinlich hat man im Grunde schon vorher was im Kopf, das einen fasziniert. Und wenn man dann jemanden trifft, der diese Geschichte verkörpert, weiß man plötzlich: Das ist es! Ich treffe Menschen, sehe Dinge, schreibe darüber. Ich mag Leute, die irgendwo starten und auf seltsamen Wegen ganz wo anders rauskommen. Und ich mag Leute, die sich einfach am Leben freuen können. Vielleicht, weil es unzeitgemäß ist. Heute ist die Königsdisziplin skeptisch und mit nichts zufrieden zu sein.

Meine Berufswahl ist etwas, wovon mir alle immer abgeraten hatten. Alle sagten, mit Schreiben kann keiner Geld verdienen, außer er ist extrem gut, und extrem gut ist sowieso etwas, was andere Leute sind. Auf einem komischen Weg bin ich dann doch dazu gekommen, das zu machen. Eines Tages bekam ich einen Anruf von einem Journalisten, der sagte, er würde seine Reportage bei der Berliner Zeitung aufgrund einer Italienreise nicht schaffen, und fragte mich, ob ich die übernehmen könnte. Bis dahin hatte ich nicht mehr als zwei Artikel bei einer Gratisstadtzeitung veröffentlicht, und diesen Journalisten kannte ich nicht mal. Aber er kannte scheinbar mich um eine Ecke, und hatte seinem Redakteur erzählt, ich könnte das. Daraufhin rief ich bei der Berliner Zeitung an und sagte, ich würde diese Reportage übernehmen. Die fanden das allerdings überhaupt nicht lustig. Um nicht so abweisend zu sein, schlugen sie aber vor, ich könnte bei ihnen „mal was Kleines“ schreiben: Portraits über Leute mit komischen Berufen, das wäre so eine Rubrik bei ihnen. Da könnten wir beide mal ausprobieren, ob das klappt. Das habe ich gemacht und hatte total Spaß daran. Daraus hat sich eigentlich das ergeben, was ich jetzt mache.

Vor einer Weile habe ich eine BVG-Busfahrerin porträtiert, die ich zufällig bei einem Komparsendreh in einer Kirche getroffen habe. Ich fand sie besonders, weil sie sagte: Ich habe in meinem Leben alles richtig gemacht, ich mache heute etwas, das ich sehr gerne tue, und alle meine Träume haben sich erfüllt. Sie hatte außerdem ihren Hang zum Schreiben entdeckt. Unterwegs wurde sie so oft gefragt, warum der Bus zu spät käme, dass sie angefangen hatte, Geschichten, die ihr unterwegs passierten, aufzuschreiben. Wenn also Leute fragten, sagte sie: Hier habe ich was für Sie, lesen sie das und lachen sie mal, statt so grimmig zu gucken!

Angesichts meiner Texte sagen Leute oft: Das ist die, die das Besondere im Alltag sieht. Aber ich finde, meine Protagonisten sind einfach besonders, ohne Alltag. Es sind bloß häufig Leute, von denen man nichts Besonderes erwartet. Normalerweise wird statt einer Busfahrerin eben ein Künstler interviewt.

Mehr zu Tina Veihelmann

Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.