Eine andere Art von Unterkunft

Vor eineinhalb Jahren kamen Hamburger Aktivisten zu mir und fragten mich bei einem sehr spezifischen Problem um Hilfe. In Hamburg wie in Berlin lebten zwischen 100 und 300 über Lampedusa Geflüchtete ohne Unterkunft in der Stadt. Sie verweigern individuelle Asyl-Verfahren, da sie als politische Gruppe auftreten und die Forderung stellen, kollektiv Asyl zu erhalten. So kommen sie weder in Erstaufnahmelager, noch in sonst irgendwelche Unterkünfte. Ich wurde also gefragt, ob ich eine Behausung mit Matratzen als Winteraufenthaltsort stellen würde. Aber ich wollte nicht diese schlimmen Bilder von Geflüchteten in Massenunterkünften reproduzieren. Ich hielt und halte es für weitaus interessanter, Alternativen zu präsentieren. Sprich, eine andere Art von Unterkunft; eine, die menschenwürdig, kleinteilig ist, Spaß, Vernetzung und Kommunikation möglich macht. Das Konzept, ein Kunstprojekt, haben wir mit der „EcoFavela Lampedusa Nord“ im letzten Winter realisiert. Es war eine soziale Skulptur, entwickelt von Baltic Raw, wo von Künster*innen, Geflüchteten und Kampnagel-Mitarbeiter*innen Wohnen, Arbeiten, Kochen und Gemeinschaftsbildung praktiziert wurde. Und das vor dem Hintergrund der Pegida-Märsche, des Rechtsdruckes in Europa und kurz darauf der „großen Flüchtlingsströme“! Das hat richtig etwas ins Rollen gebracht. Die EcoFavela kam zu einem Zeitpunkt, bevor alle darüber nachgedacht haben, auch Projekte mit den neuen Migrant*innen zu machen. Das Projekt hat symbolisch gezeigt, dass es andere Möglichkeiten der Unterbringung gibt, als Ghettoisierung am Stadtrand, in Lagerhallen oder Baumärkten.

Wenn ich Projekte entwickle und plötzlich feststelle, dass Viele dagegen sind, spornt mich das enorm an. Wenn sich viele Leute mit einem künstlerischen Projekt auseinandersetzen, gerne auch kontrovers, ist es auf jeden Fall eine gute Idee zum richtigen Zeitpunkt. Für die EcoFavela stellte die AfD Strafanzeige wegen Verdacht auf Beihilfe zu Ausländerstraftaten und Veruntreuung öffentlicher Gelder gegen mich. Dass mich Rechte – zu guten Teilen auch Rechtsradikale – anzeigen, erachte ich als ehrenhaft und ein Zeichen dafür, dass ich ein gutes und diskussionswürdiges Projekt mache. Ein Jahr später laufen die Ermittlungen immer noch, obwohl davon auszugehen ist, das die Anzeige haltlos ist. Was ich gemacht habe, nämlich 6 Menschen ein Winterquartier zu bieten, macht der Hamburger Senat auch.

Heute haben an Schulen in deutschen Großstädten häufig an die 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund, das heißt wir leben längst in einer Einwanderungsgesellschaft. Ich halte das Bild der Regierung von einer „Flut von Geflüchteten“, mit der wir nicht umgehen können, für maßlos übertrieben. Für mich und meine Arbeit stellt sich die Frage: Wie kann Kunst gesellschaftliche Anliegen transportieren, sodass Politik und Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten bekommen? Da gibt es natürlich sehr unterschiedliche Methoden – aber 50 Flüchtlinge stumm auf eine Bühne zu stellen, wäre aus meiner Sicht keine besonders sinnstiftende Aktion. Es geht nicht darum, dass wir geflüchtete Menschen bemitleiden, sondern dass wir sie dabei unterstützen, sich einzuleben und Teil unserer Gesellschaft zu werden.

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Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.