Du musst gehen

Mein Vater ist sehr religiös, wütend, wie ein Diktator. Er verstand nicht, dass ich auf die Kunsthochschule gehen wollte. Meine Geschwister stimmten mit meinem Vater darin überein, dass ich, wie sie, Priester werden sollte. Ich wurde also auf eine religiöse Universität in Ghom City geschickt. Vor der islamistischen Revolution gab es einige religiöse, aber politisch links eingestellte Studenten, auch eine geheime Gruppe von Säkulären. Ich lernte dort die Argumente meiner Familie für einen gottgewählten Alleinherrscher des Staates zu widerlegen. Sie verstießen mich. Wenn deine Familie so etwas tut, kannst du nicht mehr mit ihr leben, du musst gehen. Nun kontrolliert die Regierung die Universität, einige Bücher sind verboten. Menschen, die sie mit Verbotenem erwischen, werden verhaftet und gefoltert.

Ich wollte ein Musikinstrument lernen und ging zu einem meisterlichen Lehrer, der sich versteckt halten musste. Als ich ihn endlich fand, schickte er mich verängstigt weg, sagte meine Familie sei zu mächtig und einflussreich und er könne mich daher nicht unterrichten. Ich floh nach Teheran, arbeitete in einem Altenheim und einem Coffeeshop, in dem sich die Linken Teherans aufhalten. Dort traf ich Menschen, mit denen ich zusammen ein Filmprojekt startete. In der iranischen Wüste gibt es Camps, in denen Waisenkinder aus Wüstenstämmen ohne genug Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung zum Arbeiten festgehalten werden. Die Regierung warnt vor Stammesangehörigen, nennt sie „nicht menschlich“. Wir fuhren ein paar mal in eines dieser Camps und machten dort Filmaufnahmen, ich stand hinter der Kamera. Nachdem wir ungefähr 6 Wochen an dem Film gearbeitet hatten, wurde ich auf der Straße von Regierungsbeamten verfolgt. Sie nahmen mir die Kamera und drohten mir. Knapp darauf wurden alle anderen Teammitglieder ebenfalls unter Druck gesetzt, all unser Material konfisziert. Im Iran funktioniert die Regierungspolitik ähnlich wie in anderen Ländern der Geheimdienst. Ich konnte dort keine meiner Scriptideen verwirklichen.

Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.