Durchdachtheit

Die Idee meines Lebens war tatsächlich, mein Leben so einzurichten, dass ich mich mehr um Ideen kümmern kann. Das hat mir Jahrzehnte vorgeschwebt. Ich dachte, dass kann ich auch nebenbei machen, als 2. Standbein und zusätzlich zu einem ernsthaften Studium, in dem man reproduziert, sich an Vorgaben hält. Ich dachte es hätte mit Kreativität zu tun, wenn ich Theaterwissenschaft studiere. Das war ein Irrtum. Es war eher Universität als Kreativität.

Es ist in dem Moment eine Idee, wo sich Dinge klären, die vorher verwirrt gewesen sind. Wenn sich im Kopf plötzlich 17 Richtungen auftun, in die es gehen könnte, wenn beim Schreiben die Finger nicht ausreichen um alles aufzuschreiben. Poetisch gesagt, muss man in der Lage zum Spaziergang durch sich selber sein, um den sich eben bildenden Ideenschrank betrachten zu können. Die Idee hat sehr viel mit emotionaler Bewertung von Dingen zu tun: Was reißt mich mit? Was fasziniert mich? Die Ausarbeitung ist ein zweiter Schritt, die eigentliche Arbeit.

In den letzten Jahren versuche ich Theatern beizubringen, sich Freiräume herzustellen, um aus dieser organisatorischen Knochenmühle herauszukommen. Stichwort kollektive Kreativitätsprozesse. Für das Theater Essen arbeite ich gerade im ersten Writer’s Room im deutschen Theater: 2 Autoren, Regisseur, Bühnenbildnerin und Dramaturgen arbeiten nebeneinander um zusammen von Anfang an ein Stück zu entwickeln. Wir sitzen mit Karteikarten da und plotten nach dem Vorbild amerikanischer Writer’s Rooms an die Wand, was wir machen wollen. Erst Ideen. Dann Austausch, Bälle zuwerfen, streiten. Dann überprüfen, durchdenken, verwerfen, bestätigen, fortführen. Wenn sich sieben, acht Leute, drei Wochen lang in einen Raum einsperren, um eine 50 Minuten lange Folge von Breaking Bad zu erarbeiten, merkt man dem, was man sieht, die Durchdachtheit an. Dass das was stattfindet, stattfindet, weil es so stattfinden muss. Dass die Räume so aussehen, wie sie aussehen, dass er die Klamotten trägt, die er trägt, dass die Figuren heißen, wie sie heißen- jeder Stein, der da verbaut wurde, wurde so oft umgedreht, dass du weißt, das ist genau der richtige Stein am richtigen Ort. Das ist ein Unterschied zu anderen Serienproduktionen- wenn innerhalb einer Woche fünf Folgen entstehen müssen, kriegt es nicht die gleiche Komplexität. Bei fünf Köpfen bietet sich die Möglichkeit, in fünf statt nur zwei Dimensionen zu denken.

Mehr zu Ulf Schmidt

Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.