Radikal

Ich bin selbst kein leidenschaftlicher Gärtner. Als Robert die Idee hatte, einen Garten in der Stadt zu machen, fand ich daran etwas interessant, was vielleicht nicht sofort ins Auge springt: Bilder damit erzeugen, die unsere Vorstellung von Stadt verändern. Ich dachte, hört sich spießig an, aber ist total radikal. Man nimmt einfach wertvollen städtischen Raum, der für 1000 andere Dinge gedacht ist und macht etwas völlig Unerwartetes. Selbst die, die nicht gärtnern, gehen durch das Tor und denken: Boah. Wenn Ideen nicht im embryonalen Zustand verkümmern wollen, schaffen sie solche Resonanzen und entwickeln sich im gemeinsamen Zusammenspinnen weiter. Was ich allerdings zunehmend selber kritisch an der gemeinsamen Idee wahrnehme, ist der Applaus, den sie von allen Seiten bekommt. Es erzeugt Unwohlsein, wenn dir alle zustimmen. Wenn du merkst das Stadtverwaltungen, riesige Unternehmen, große Stromkonzerne, die Atomanlagen, Kohlekraftwerke betreiben, das auch total großartig finden, fragst du dich schon, was aus einer Idee, die du vielleicht auch als politisch verstanden hast, in der Wahrnehmung geworden ist. H&M macht einen Garten vor dem Kulturpalast in Warschau, oder Vattenfall einen in Mitte. Du kannst nichts dagegen tun, dass Bilder und Begriffe, die du selber mal mitentwickelt hast, auf eine Art umgeformt werden, auf die Unwohlsein als Reaktion noch zu weich ist. Es ist eigentlich super, wenn eine Idee sich vervielfältigt. Die ist nicht proprietär, man will nicht das große Geld damit verdienen. Aber das Problem, wenn solche Ideen nicht geschützt sind, ist, dass jeder sich die aneignen und im eigenen Sinne um- und überschreiben kann.

Hinter den Prinzessinnengärten ist diese riesige Wand, die lange Zeit für Street Art und politische Botschaften benutzt wurde. Da hat letzten Winter eine Agentur, die sich selber ein Street-Art-Image gibt, eine Werbung ran gemacht, die das Motiv der Bäume aufnahm, sodass es aussah, als würde der Garten in die Mauer hineinwachsen. Als Nachbarschaftsakademie setzen wir uns kritisch mit der Kommerzialisierung öffentlicher Räume auseinander. Jetzt ist die Werbung weg, aber solange ein privater Besitzer darüber entscheidet, was wir jeden Tag sehen, sind wir nicht vor dem nächsten Konsumbefehl über unseren Köpfen geschützt. Der Kapitalismus ist wahnsinnig gut darin, aus Ideen vermarktbare Produkte zu machen, das ist sein Businessmodell. In der Berliner Subkultur ging es mal viel um Ausverkauf von Ideen, „Karriere“ war ein Schimpfwort. Kein Grund zur Romantik, aber heute versucht jeder selber Entrepreneur zu sein, seine App, seinen Song oder sich selber zu vermarkten. Vielleicht leidet das, was Ideen sind, am meisten darunter, dass man immer erst fragt, ob es erlaubt ist und ob man damit Geld verdienen kann. Die schönsten Dinge sind nicht zum Geld verdienen da.

Wir und viele andere Gärten haben sich gefragt, wie man die Ideen und Motive, aus denen heraus wir uns engagieren, davor bewahren kann, nicht nur für netten Mittelstandspaß oder zur Bebilderung von Imagekampagnen herhalten zu müssen. Dann haben wir ein Manifest geschrieben, um die Ideen, auf die wir uns einigen können, mal festzuhalten. Rein wörtlich heißt radikal, bei der Wurzel anfangen. Jeder Garten kann radikal sein, wenn er grundsätzlich die Frage aufwirft, in was für einer Stadt wir leben oder was wir jeden Tag auf dem Teller haben wollen. Was ist radikal? Als radikal erscheint heute schon, wenn man den gesunden Menschenverstand einschaltet und sagt: verscherbelt doch bitte nicht all unser öffentliches Eigentum an Konzerne oder Investmentfonds, die keinerlei demokratischen Kontrolle unterliegen. Das Geschäftsmodell, welches in epischem Ausmaß dabei ist das Gesicht dieses Planeten für immer zu verändern, gilt dagegen als völlig normal. Extreme Industrialisierung, irreversible Ausbeutung der Böden, Zerstörung von Lebensräumen, Landflucht und Klimawandel- alles völlig normal. Und obwohl die Gewalt und die Geschwindigkeit dieser Umwälzung in ihren Konsequenzen wirklich radikal sind, gilt nicht mehr als Teil einer vernünftigen Diskussion, wer die Frage stellt, ob es nicht auch anders geht.

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Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.

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