Neuralgischer Punkt

Es gibt ein Problem mit Inflation von Ideen. Wir leben in einer Zeitphase der Dominanz des Kreativen. Gegen Kreativität hat niemand etwas, alles muss kreativ sein – vom Müsliriegel bis zur Stadt. Bezogen auf die Architektur wird man heute durch die Medien mit einer Vielzahl von Entwürfen konfrontiert. Vor 100 Jahre war das Feld überschaubar, es gab weniger Architekten, die haben weniger entworfen, es war mühseliger einen Entwurf überzeugend darzustellen. Heute kann mit einer Rendering-Software jeder etwas als finale Entwurfsidee darstellen, was oft noch nicht so durchdacht und relevant ist. Bei der Flut von Entwürfen hat jeder einzelne Entwurf zunehmend geringere Relevanz. Wer soll das alles verarbeiten? Eine Idee, die nur ein Post auf einer Plattform im Internet bleibt- da ist die Welt geduldig, da kannst du Milliarden von absetzen und es bedeutet nichts.

Das Umsetzen von Ideen kann auch narzisstisch sein. Es gibt Leute, die rücksichtslos Ideen ohne Bezug auf ihren Kontext umsetzen, so entsteht Starkult- Stardesigner, Stararchitekten. Es gibt dafür aber auch offenbar einen gesellschaftlichem Bedarf, die Gesellschaft scheint narzisstische Personen zu benötigen. Ich bin eher an emanzipatorischen Ideen interessiert, die Leute ermächtigen, etwas ermöglichen. Um zu verstehen was der neuralgische Punkt ist, wo die offene Frage ist, muss man ziemlich genau hingucken, analysieren. Das ist erstmal nicht primär die Frage nach eine „Idee“, die entsteht dann eher im Prozess. Wichtig ist auch eine Gespür dafür, welche Ideen wirklich tragfähig sind. Habe ich Lust darauf, mich mit dieser Idee zu verbinden? Lohnt es sich, dass ich mich dafür engagiere? Da braucht es Energie, Zeit, und oft auch Geld. Es ist eben nicht nur wichtig, Ideen zu haben, sondern auch, auf welches Pferd man setzt. Und dafür braucht es manchmal eben Mut und auch Ausdauer. Kinder haben zum Beispiel jede Menge verrückte Ideen, tolle Ideen. Das ist faszinierend zu beobachten, aber ändert sich mit dem älter werden. Es reicht dann nicht mehr, Ideen zu haben, sondern man muss einen Weg finden, eigene Ideen umzusetzen. Dazu gehört das Lernen welche Ideen umsetzbar sind, aber auch, in welche man selbst Lust hat, viel Zeit, Liebe und Ausdauer zu investieren. Der Mensch geht Verbindungen und damit Verbindlichkeit ein, mit sich und mit anderen und kann dann nicht alles so ausleben. Aber manchmal sollten wir uns etwas von der kindlichen Fähigkeit zurückerobern.

Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.