Ein Stück vom Rest

Wie Wasser können Ideen in ganz unterschiedlichen Aggregatzuständen daherkommen: in Massen, ganz wenig, gleichsam ein Art Pfütze, trübe, durchaus nichts Reines. Ich verliere schnell das Interesse wenn etwas „fertig“ ist. Manchmal ist die Idee für mich daher das noch nicht nicht Materialisierte, Unverfügbare, das was noch eine Offenheit hat. Vielleicht ist das romantisch und zeigt an: Ja, es geht immer noch weiter, es könnte auch in diese Richtung gehen. Da bleibt immer ein Stück vom Rest übrig. Mein Idealismus hat sehr viel mit Formgebung, Formen finden, Design zu tun. Das ist strebendes Zurückbleiben hinter einem Ideal, im Sinne von sich mit einem Resultat oder einer Form nicht unmittelbar zufrieden geben.

Eine andere Komponente einer Idee ist für mich noch, dass es nicht immer nur etwas Kopflastiges ist. Es kann auch ein Entwurf, eine Lebensführung, ein ganz persönliches Modell, eine Körperpraktik oder -technik sein. Pilates zum Beispiel, führt dazu, dass man eine andere Vorstellung, eine andere Wahrnehmungsweise und dann auch eine andere Idee von Körpern bekommt. Das kommt aus dem Tun. Ein bestimmtes Problem was man hat – so etwas Banales wie Hunderziehung zum Beispiel- vollzieht man im Handeln und entwickelt davon ein Konzept, eine Idee als Methode. Es ist nicht dieses Top-Down, sondern ein Zusammenspiel. Ich bin interessiert an der Verbindung von Theorie und Praxis über neue Wege. Dass die Praxis eine Theorie und damit eine Idee hervor bringt, nicht umgekehrt. Deswegen mag ich das Performative als etwas, was im Vollzug, durch Improvisation entsteht.

Ich arbeite konkret, stark projektbezogen, interdisziplinär, netzwerkartig und bin sehr am Thema Vermittlung interessiert. Dass das, was entwickelt wird, auch Anschluss findet an ganz verschiedene Bereiche. Gerade in der konkreten Zusammenarbeit, manchmal auch im Crossbench mit ganz anderen Kontexten und Zusammenhängen. Als ich angefangen habe mit dem Hamburger Bahnhof für das „Black Mountain Research“-Projekt zu arbeiten, begann es mit einem Befund: kulturelle Institutionen beschäftigen sich oft vor allem mit sich selber. Eugen Blume, der damalige Leiter, hat das Black Mountain College für die gemeinsame Arbeit vorgeschlagen, weil es das perfekte Beispiel war, diese Institution selbst so viel experimentiert und ausprobiert hat. Es ging aber nicht so sehr um die Aufarbeitung des Archivs, sondern darum, die Idee von Black Mountain zu vermitteln. Das ist nämlich ganz schön schwer. Aus deren Lern- und Lehrprozessen ist eigentlich das Neue generiert worden und entstanden, nicht mit einer abstrakten, sondern einer konkret pädagogischen Idee: Demokratische Bildung und Kunst als Bindeglied zwischen allen Wissenschaften. Wir haben mit raumlabor zusammen eine Installation gemacht, die wirklich haptisch und erfahrbar geworden ist.

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Written by Nele Herzog

Nele Herzog arbeitet seit April bei anschlaege und hat ständig das Bedürfnis Alltagsgeschichten festzuhalten. Sie führt die Interviews.